Studio 2 – Experte Christof Stein spricht über: Kinosessel

Studio 2 – Experte Christof Stein spricht über: Kinosessel

Montag, 20.06.2022, ab 17:30 Uhr, Studio2//ORF

Thema diesmal: Historische Kino- und Theatersessel

Heute war es ganz einfach “chillig” im Studio2, denn dank den sommerlichen Temperaturen habe ich à la Roger Rabbit auf der Gartenterrasse auf der 3er Bank “geknotzt” und habe Martin über Möbeln mit besonderer Geschichte erzählt. Das besprochene Möbelstück, auf dem ich gesessen bin, stammte aus einem ländlichen Kino aus der Zeit als dieses Gebiet amerikanischer Sektor en war, nach dem Zweiten Weltkrieg. Die, in dem ländlichen Raum stationierten, Amerikaner haben sich damals ein amerikanisches Kino eingerichtet und nach dem Abzug 1955 dann alles dagelassen.

Martin saß auf einer Thonet Zweierbank aus circa 1900, das älteste Modell, das ich mithatte – diese war ähnlich der Musikvereinbestuhlung, aus Bugholz, typisch Thonet mit Wiener Flechtung. Bei der Wertigkeit sind diese Möbel unter 700 Euro nicht zu haben.

Damals war Thonet so etwas wie der Weltmarktführer am Theater- und Kinosesselmarkt. Diese Art von Möbel wurde zum „Fabriksrenner“ der Firma Thonet, um die damaligen 400 Kinosäle in den Kronländern ausreichend zu bespielen. Davon waren etwa die Hälfte Wanderkinos, und von den 200 festen Kinos befanden sich mehr als die Hälfte in Wien.

Martin warf ein, dass man die typische Wiener Flechtung ja auch von den Kaffeehausstühlen kennt. Was vielleicht wenige wissen – bevor es die platzsparenden klappbaren Bänke und Sessel gab, wurden 14er Thonet Sessel aufgestellt, und zwar in den Vorläufern der Kinos, den Schaubuden auf Jahrmärkten, den so genannte Panoptiken (Präsentation optischer Täuschungen, dreidimensionale Fotos durch Stereoskope). Thomas Alva Edison und William Kennedy Laurie Dickson entwickelten dann das Kinetoskop (Schaukasten – 1 Person konnte kurzen Film betrachten).

Später wurde dann umgedacht und das Klappsesseldesign setzte sich durch, um so viele Besucher:innen wie möglich unterbringen zu können.

Martin hat dann auf die Zweier-, Dreierbestuhlung hingewiesen und mich gefragt, wieso denn das so wäre. Nun, es waren ja eigentlich lange Reihen, aber um es praktikabler zu machen, teilte man die langen Reihen nach zwei oder drei Sitzflächen mit dem Verlust eines Sitzes, gewann aber dadurch immer Außensteher. Paul Kozak, ein Freund und Kollege der ersten Stunde war einer der Ersten, der in den 1990er Jahren Kinosesseln zu Wohnmöbeln umfunktioniert hat und sie somit “salonfähig” gemacht wurden. Er war auch derjenige, der mich auf das Schäfer Kino aufmerksam gemacht hat. Dieses war drauf und dran zu schließen und somit war die Bestuhlung zu haben. So eine Zweier- oder Dreierbank ist natürlich ein perfektes und praktisches Möbelstück für den Vorraum um bequem Schuhe an- und ausziehen zu können.

Mehr zu Geschichte könnt ihr hier nachlesen.

Rechtzeitig zum Sommerkinostart mit seinen wunderbaren Freiluftbühnen, fand ich es spannend einen Abriss zur Geschichte der bewegten Bilder und dessen Sitzmobiliar, welches mittlerweile fester Bestandteil der Einrichtungskultur ist, darzulegen.

Martin meinte dann die Ronacher Theatersessel würde ihn an seinen Zahnarzt an den Warteraum erinnern. Als Kollektiv lichterloh waren wir damals sehr stark spezialisiert auf Kinosesseln und haben diese über den Flohmarkt verkauft. Am Naschmarkt Flohmarkt hat mich dann jemand angesprochen, ob ich daran interessiert wäre, die gesamte Ronacher Bestuhlung zu kaufen. Unfassbare 1800 Sitzplätze in langen Reihen standen aufgebaut zu einer Pyramide in einer Halle. Der Antikkeller, Bric a Brac und wir als lichterloh gemeinsam mit der Glasfabrik (welche ein integraler Partner in Hinblick auch auf die Lagerung war) haben uns dann an dieses Projekt herangewagt. Ein gemeinsames Auslagensystem war elementar. Jeder präsentierte die neu erstandenen Ronacher Sesseln im Schaufenster oder in den Auslagen seines Geschäftslokals – die Breitenwirkung war somit enorm.  Die Echtheitszertifikate wurden uns von der damaligen Geschäftsleitung, dem Kommerzialrat Franz Häusler und dem Intendanten der Vereinigten Bühnen Wiens Rudi Klausnitzer ausgestellt.

Eine deutsche Illustrierte ist dann auf uns aufmerksam geworden so á la “die Österreicher haben noch so eine alte herrliche Theater- und Kinobestuhlung” und das mitten im aufkommenden Vintage Trend was unser Projekt weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und begehrt gemacht hat. Nicht nur Mozartkugeln oder Sachertorte konnte man nun bestellen, sondern auch Theatersessel mit Wiener Provenienz. Um die 500-700 Euro sind die Einzelsitze heute wert.

 

Meine mitgebrachte Kino- und Theaterbestuhlung aus Institutionen wie dem Ronacher, dem Haus der Industrie, dem ehemaligen Schäfer Kino sind gerade für Einrichtungsstarter eine spannende Geschichte und gibt ihnen die Möglichkeit diesen Möbeln mit Geschichte ein zweites Leben einzuhauchen.

Definitiv kann man so dem Wohnbereich mehr Individualität verleihen! Vielen Dank an dieser Stelle an Paul!