Studio 2 – Experte Christof Stein spricht über: Stilmöbel vs. Original
Montag, 27.09.2021, ab 17:30, Studio2//ORF
Thema diesmal: Stilmöbel vs. Original
Birgit Fenderl und ich sind heute beide auf Biedermeiersesseln gesessen. Die Frage war nun welcher der beiden das Original und welcher das Stilmöbel war.
Aber ein kurzer historischer Abriss sei dem vorangestellt. Als Biedermeier wird die Zeitspanne vom Ende des Wiener Kongresses 1815 bis zum Beginn der bürgerlichen Revolution 1848 in den Ländern des Deutschen Bundes bezeichnet. In Zeiten von Corona wurde ja nun schon oft von einem neuen Biedermeier gesprochen – also dem Rückzug des Bürgertums in die eigenen vier Wände und vom es sich dort gemütlich machen – damals die Flucht ins Private und ins vermeintliche Idyll, eine Reaktion auf die staatliche Zensur aller Veröffentlichungen, was Literatur, Musik und Presse stark betraf.
Wenn man kein Experte/keine Expertin ist, weiß man nicht worauf man achten soll, übrigens eine der meistgestelltesten Fragen seit ich als Experte im Studio2 auftrete. Für Menschen, die ein Möbel geerbt oder die einfach Interesse daran haben, wollte ich das genauer erläutern auf welche Merkmale man achten soll. Das Stilmöbel -links – auf dem ich gesessen bin ist ein Vollholzmöbel aus Erle, auf Mahagoni gebeizt und wurde damit von einer billigen Produktion in eine teurere Optik gebracht. Der Sessel ist maschinell gefertigt, man konnte das vor allem an einer bestimmten Stelle sehen, wo sich die Kreissäge eingefräst hat (zu Zeiten des Biedermeier gab es natürlich noch keine Maschinen), weiters fand sich eine maschinelle Verzinkung am Stuhlunterteil.
Beim Originalsessel ist nun auch kein Originalpolsterung mehr, sondern ein altrosa Überzug. Ursprünglich hatte es einen Biedermeier Möbelstoff, so wie Streifendamast oder ein eingestreutes Blümchenmuster.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden neue Materialien verwendet, um Möbel pflegeleicht zu machen, in dem Fall des Stilmöbels Acryl Lack um einen künstlichen Glanz zu erzeugen und um ihn leicht abstauben zu können.
Der Original Biedermeiersessel ist mit Schellack politiert, ein Naturprodukt, eine harzige Substanz, die aus den Ausscheidungen der Lackschildlaus nach ihrem Saugen an bestimmten Pflanzen gewonnen wird.
Nun sieht man auch beim Original an der Unterseite des Sessels, dass er aus der Biedermeierzeit stammt. Furniertes Holz, innen Weichholz, ein Nadelholz mit wunderschöner handgefertigter „Schwalbenschwanzverzinkung“.
Rundherum furniert mit einem edlen Holz , in diesem besonderen Fall eine Blumenesche, die fast schon aussieht wie ein Wurzelholz, vermutlich aus ungarischer Provenienz, Biedermeier der K&K Monarchie, circa um 1830 – man sieht dies auch anhand der Einlegearbeiten.
Nun zu den Wertigkeiten – ganz spannend: das Stilmöbel hatte zur Zeit seiner Erzeugung nach dem zweiten Weltkrieg den selben Preis wie der Original Biedermeier Sessel im Handel. Heute kann man so ein Stilmöbel als Gebrauchsmöbel haben und es liegt somit bei 40-50 Euro Wertigkeit. Das Original wiederum liegt beim zehnfachen Wert ungefähr, also bei 500 Euro. Dabei kommt es natürlich auf das Modell und die Verarbeitung an.
Stilmöbel vs. Fake – eine Fälschung versucht natürlich dem Original so nahe wie möglich zu kommen, dh. es werden auch alte Materialien verwendet, was sich aber realistischerweise heutzutage bei 0815 Modellen kaum auszahlt, wenn man sich den Stundensatz eines Handwerkers ansieht. Der richtige Sachverständige ist da natürlich gefragt, den Unterschied zu erkennen, ob es sich nun um eine Fälschung oder ein Original handelt. Das Stilmöbel ist maschinell und mit Schablonen gefertigt.
Jetzt kennt man das natürlich aus der eigenen Familie – man erbt etwas und denkt es wäre ein wertvolles Stück, da es immer so kommuniziert wurde. Viele Dinge unterliegen aber dem Zeitgeist und des Geschmacks. Daher gibt es für einiges keine Nachfrage. Damit haben wir alle im Antiquitätenhandel zu kämpfen.